Deutsch-Französische Freundschaft – Konkret:
Anne Baillot ist Studiengangsbeauftragte der Europäischen Studien in Le Mans. In unserer ersten Ausgabe der Rubrik “Deutsch-Französische Freundschaft – Konkret” erzählt sie, wie Binationalität zu ihrem (Arbeits-)Alltag wurde, und was das Ganze mit ihrer Familie zu tun hat.
“Deutsch hatte ich zwar in der Schule, aber eigentlich wollte ich gar nicht unbedingt Germanistik studieren”, erzählt Anne Baillot, als wir uns an einem Donnerstagnachmittag im April an der Universität Le Mans treffen. Draußen kämpft sich die Sonne gerade durch die dicke Schicht von Regenwolken, die an diesem Nachmittag schon für einige Schauer gesorgt haben. Doch das Leben ist manchmal genauso unberechenbar wie das Wetter im April und so ist Anne Baillot heute Forscherin in der Germanistik und Verantwortliche für den deutsch-französischen Studiengang “Europäische Studien” an der Université Le Mans.
Diesen Schwenk in ihrer Karriere habe sie vor allem ihren motivierten Deutschlehrer*innen zu verdanken, allerdings auch ihrer Familie, die man als herausragendes Zeugnis deutsch-französischer Freundschaft bezeichnen kann.
Alles beginnt im Jahr 1926 mit der Urgroßmutter Anne Baillots, Pierrette Roux, die nach dem 1. Weltkrieg der Sozialistischen Jugend Frankreichs beitritt. Jahre zuvor hatte sie als noch junges Mädchen miterlebt, wie junge Franzosen aus dem Krieg gegen Deutschland zurückkamen. Obwohl die Abneigung ihres Heimatlandes Frankreich gegenüber dem Erbfeind noch tief sitzt, kommt es 1926 in der Bourgogne zu einer Zusammenkunft der besonderen Art: einem deutsch-französischen Treffen der sozialistischen Jugend. In diesem Rahmen lernt Pierrette die deutsche Heta kennen, eine junge Sozialistin gleichen Alters aus Berlin. Die Beiden verstehen sich auf Anhieb blendend und beginnen eine Freundschaft, die weit über die Jugendfreizeit hinausgeht. In den kommenden Jahren stehen die Beiden im regelmäßigen Austausch, schreiben sich immer wieder. Selbst als 1939 mit dem Angriff Deutschlands auf Polen, der Zweite Weltkrieg ausbricht,
bleiben die Beiden in Kontakt. Sie können einander verstehen, erleben beide die Schrecken des Krieges und fürchten um ihre Ehemänner, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Kriegsgefangenschaft des jeweiligen Gegners landen. Nach dem Krieg kehrt Pierrettes Mann zurück, Hetas Mann jedoch nicht.
Der Freundschaft der beiden Frauen tut dies jedoch keinen Abbruch. Im Gegenteil: Mittlerweile junge Mütter, geben sie ihre besondere Verbindung an ihre Töchter weiter. So lernt Pierrettes Tochter Pépée (Anne Baillots Großmutter) Hetas Sohn Wolfgang kennen und schätzen. Erneut entwickelt sich eine besondere Freundschaft und diese deutsch–französische Beziehung ist schließlich ein ausschlaggebender Punkt für Pepes Tochter Frédérique (Anne Baillots Mutter), selbst Deutsch zu studieren. Wie ihre Mutter vermittelt auch sie ihrer eigenen Tochter, Anne Baillot, die besondere Rolle deutsch-französischer Beziehungen und erzählt ihr von der generationenübergreifenden Freundschaft ihrer Urgroßmutter und ihrer Großmutter. Das wirkt und so macht Anne Baillot diese Freundschaft zu ihrem Beruf und ist heute, seit fünf Jahren, verantwortlich für den Studiengang Europäische Studien auf französischer Seite.
Heute möchte sie deutsch-französische Beziehungen weder im privaten noch im professionellen Umfeld missen. “Es macht einfach Spaß, in einem solchen Umfeld zu arbeiten”, sagt sie. Das Besondere an dieser konkreten Beziehung zwischen den beiden Ländern sei, dass Menschen auf beiden Seiten für die jeweils andere arbeiten und somit aktiv die Freundschaft mitgestalten würden.
Dies erfährt sie selbst regelmäßig aus erster Hand, sei es bei den Europäischen Studien, oder mit Blick auf ihre Familiengeschichte und ihren persönlichen Werdegang: Anne Baillot kennt beide Seiten. Damals, während ihrer Studienzeit, lebte sie selbst für einige Zeit in Berlin. Bis heute besucht sie im Rahmen der Europäischen Studien immer wieder Paderborn und forscht in Le Mans zu deutscher Literatur der Romantik. Dieser ständige Standortwechsel mache ihr aber wenig aus, erzählt sie zum Abschluss lächelnd. “Ich weiß nie genau, wo ich bin: mal in Deutschland, mal in Frankreich…”.