Wie viel Europa steckt eigentlich in Paderborn? Das war die Ausgangsfrage des Seminars „Europa vor Ort“. Ganz allgemein lässt sich diese Frage selbstverständlich nicht beantworten, dafür ist die Europäische Union zu vielschichtig. Beispiele gibt es jedoch zahlreiche: Sei es der Flughafen Paderborn-Lippstadt, Wanderwege in Ostwestfalen-Lippe, die Windräder am Haxter Grund, Sportgeräte beim Hochschulsport oder Freiwilligenprojekte für Jugendliche.
In fünf Beiträgen könnt ihr herausfinden, wo euch die EU in Paderborn und Umgebung überall begegnen kann.
Abstandsregeln, Artenschutz, Lärmbelästigung – immer wieder steht der Ausbau der Windenergie im medialen Kreuzfeuer. Die Kritik richtet sich häufig Richtung Berlin, aber auch nach Brüssel. Seit der Änderung der EU-Richtlinie zur Förderung erneuerbarer Energien 2009 nimmt der Ausbau der Windenergie Fahrt auf und muss auf kommunaler Ebene umgesetzt werden. Seitdem beträgt der Zielwert für den Anteil erneuerbarer Energien in Deutschlands Strommix 18 Prozent, bis 2030 soll dieser sogar bei mindestens 27 Prozent liegen. Der Windpark Lichtenau zeigt vor der Haustür Paderborns, wie diese Umsetzung gelingen kann. Doch wie genau funktioniert das Zusammenspiel zwischen der Kommune und der EU? Wie viel EU kommt auf kommunaler Ebene an und wird nicht durch weitere Instanzen eingeschränkt? Ein Ausflug in die Praktikabilität der EU-Umweltpolitik auf kommunaler Ebene:
Wie viel Europäische Union in der Windenergie wirklich drin ist, wird erst auf den zweiten Blick ersichtlich. Der Einfluss aus Brüssel schlägt sich vor allem in der Gesetzgebung nieder, so Andreas Joachim vom Amt für Umwelt, Natur und Klimaschutz im Kreis Paderborn: “Weite Teile der nationalen Gesetzgebung basieren auf der Umsetzung von EU-Richtlinien oder EU-Verordnungen. Aktuell sind hier aufzuführen, die EU-Notfallverordnung 2022/2577 vom 22. Dezember 2022 zur Festlegung eines Rahmens für einen beschleunigten Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien und die noch nicht abgeschlossene Überarbeitung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (2018/2001/EU, RED IV/III)”. Vor allem das Vorantreiben des Ausbaus ist also auf EU-Richtlinien zurückzuführen. Gerade die neu beschlossene Notfallverordnung hat dabei gravierende Auswirkungen. “Hier entfallen im Genehmigungsverfahren die Pflicht der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und der artenschutzrechtlichen Prüfung, sofern die Gebiete eine Strategische Umweltprüfung (SUP) durchlaufen haben. Zur Wahrung des Artenschutzes werden verhältnismäßige Vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen auf Grundlage von vorhandenen Daten durchgeführt. Eine Kartierung durch die Vorhabenträger entfällt. Sind keine Daten oder keine wirksamen Minderungsmaßnahmen vorhanden, müssen Betreiber einen finanziellen Ausgleich in einem Artenhilfsprogramm leisten. Die Vorgaben der Vogelschutz-, Fauna-Flora-Habitat- und UVP-Richtlinie werden für den Anwendungsbereich der Verordnung außer Kraft gesetzt”, so Joachim.
Die EU-Richtlinie für Erneuerbare Energien (2009/28/EG) brachte auf Bundesebene den Aktionsplan Erneuerbare Energien hervor, mit geplanten Maßnahmen, Instrumenten und Richtlinien der Bundesregierung zur Unterstützung des Ausbaus der erneuerbaren Energien. Konkret ist daraus das Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG, entstanden. Auch die Notfallverordnung befindet sich laut Andreas Joachim in der bundesweiten Umsetzung: “Die EU-Notfallverordnung für den Bereich Windkraft wurde in nationales Recht umgesetzt (s.o.) und wird in den Genehmigungsverfahren entsprechend angewandt. Wie bei allen neuen rechtlichen Vorgaben muss sich die Verwaltungspraxis erst anpassen und darauf einspielen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat zwischenzeitlich den Entwurf für einen Auslegungsleitfaden für § 6 WindBG vorgelegt.”
Angelehnt an das EEG wurde der Erlass Erneuerbare Energien zum Landesentwicklungsplan, kurz LEP, in NRW verfasst. Konkrete Anwendung finden für Unternehmen und Behörden letztendlich die Landes- und Bundesvorgaben, welche jedoch, wie aufgezeigt, von der EU inspiriert wurden. In Nordrhein-Westfalen verpflichtet das Klimaschutzgesetz auf Landesebene zur Klimaneutralität bis 2045. Das Bundesland verpflichtet sich, 1,8 Prozent der Landesfläche bis Ende 2032 als Windenergiebereiche auszuweisen. Im Rahmen der LEP-Änderung soll zudem die Erzeugung von Windenergie künftig auch auf geeigneten Waldflächen möglich sein. Hierfür sollen vor allem Waldflächen genutzt werden, die nicht mehr vollständig intakt sind, beziehungsweise durch Stürme oder einen Schädlingsbefall etc. beschädigt wurden und ohnehin einen großen Totholzanteil enthalten. Hinzu kommt die Streichung der 1500-Meter-Abstandsregelung für Windenergieanlagen.
Gemäß Landesplanungsgesetz entscheidet der regionale Planungsträger über die Aufstellung eines Regionalplans bzw. einer Regionalplanänderung. “Aufgrund der noch bestehenden kommunalen Planungshoheit obliegt es den Städten und Gemeinden planungsrechtlich aktiv zu werden, aber nicht zu müssen”, so Joachim, “Zur Steuerung des Ausbaus von Windenergieanlagen konnten im jeweiligen Flächennutzungsplan Konzentrationszonen ausgewiesen werden, mit der Folge, dass außerhalb dieser Zonen weitere Windenergieanlage nicht zulässig waren.” Im Jahr 2016 wurde mit der 125. Flächennutzungsplanänderung ein für Windkraftanlagen geeigneter Suchbereich von 551 Hektar des Stadtgebietes ausgemacht. Nach einer Kippung dieser durch das Oberlandesgericht NRW 2019 wurde im Dezember vergangenen Jahres der 146. Änderung der Flächennutzungsplanänderung zugestimmt.
Die Zuständigkeit für die Planung befindet sich jedoch in der Veränderung, erklärt Andreas Joachim: “Aktuell wechselt das Planungsregime von den Städten/Gemeinden auf die Regionalplanung (Bezirksregierung). Aktuell müssen noch laufende Verfahren zur Flächennutzungsplanung bis zum 01.02.2024 abgeschlossen werden, allerdings dürfen Städte und Gemeinden darüber hinaus weitere Positivflächen ausweisen.” Für Paderborn hält dieser Wechsel laut Joachim jedoch praktisch wenig Veränderung bereit: “Im Kreis Paderborn sind die meisten bislang rechtskräftig bestehenden Windenergiegebiete mit bereits genehmigten Windenergieanlagen belegt, sodass sich die Beschleunigungseffekte bis zur Aufstellung weiterer Windenergiegebiete durch die Regionalplanung in Grenzen halten werden.”
Ein weiterer recht prominenter Punkt, in dem die EU in vielen Bereichen Anknüpfungspunkte mit kommunalen Projekten hat, sind Fördergelder. Jedoch hält sich der Anteil der EU geförderten Windparks hier landesweit in Grenzen. Für die Finanzierung von lediglich sechs Windparks in Deutschland wurden Gelder in Höhe von fast 2,2 Milliarden Euro abgerufen und durch weiteres privates und öffentliches Kapital ergänzt. Die Europäische Union fördert die Transformation beispielsweise durch den Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) und seinen Nachfolger InvestEU. Die Gelder werden durch die Europäische Investitionsbank (EIB) vergeben. Trotz der hohen Investitionen in Deutschland für die Finanzierung von Windparks werden nur durchschnittlich hohe Volumina an europäischen Mitteln, gemessen an der Wirtschaftsleistung Deutschlands, abgerufen. Während die EIB in der EU Windparks mit einem Volumen in Höhe von 0,07 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU finanziert, belaufen sich ihre Finanzierungsbeiträge in Deutschland nur auf 0,06 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Spitzenreiter hier ist Belgien mit 0,3 Prozent. Insgesamt ist jedoch bei einer Recherche wenig zu europäischen Förderungen im Bereich der Windkraft zu finden. Bestehende Förderungen werden folglich kaum genutzt, was daran liegen könnte, dass hier projektbezogen entschieden wird. Das bedeutet, für jedes Vorhaben im Bereich der Windkraft muss separat ein aufwändiges Genehmigungsverfahren für Fördergelder der EU durchlaufen werden und lohnt sich nur bei größeren Windparks.
Was bedeutet das alles nun konkret? In dem zurzeit sehr polarisierenden Themenbereich Windkraftanlagen, welcher oft nur mit der kommunalen Politik verbunden wird, steckt einiges an EU. Was mit einem Anreiz und Rahmen für nationale Gesetze, mit der EU-Richtlinie für erneuerbare Energien begann, hat sich über mehrere Ebenen bis zu landespolitischen Bestimmungen entwickelt. Diese Kaskadenstruktur offenbart somit erst bei genauerem Hinschauen den Einfluss Europas auf Gesetze und Verordnungen im Bereich der Windkraft.
Besonders die neu erlassene Notfallverordnung wirkt sich direkt auf die nötigen Genehmigungsprozesse aus, um den Bau neuer bzw. weiter bestehender Anlagen voranzutreiben. Auch hinsichtlich der finanziellen Förderung gibt es direkte Auswirkungen der EU. Hier werden jedoch kaum Gelder von Deutschland abgerufen, da sich der Genehmigungsprozess nur für größere Windparks lohnt.
Für konkrete Vorgaben und Gesetze ist die nationale Energiewende zu komplex und individuell, sodass die EU eher einen Rahmen in diesem Bereich schafft, aus dem nationale und auf die Gegebenheiten abgestimmte Gesetze entstehen. Dabei gibt die EU das Gesamttempo für das Ziel einer europäischen Energiewende vor.
von Nina Götz, Lennart Lübbers, Nicolas Schönlau, Lina Schuhmann, Roman Schulze und Luisa Wiederhold