Am vergangenen Mittwoch war es wieder so weit: Gemeinsam mit dem Belgien-Zentrum der Universität Paderborn luden die Europäischen Studien zu einer neuen Ausgabe der Europa-Vorlesungen. Eingeladen als Gastredner*innen waren der deutsche Comiczeichner Flix und die ostbelgische Word-Aktivistin Jessy James LaFleur. In den Hallen des Theodorianums gestalteten sie einen Abend voller produktiver Grenzüberschreitungen und kamen über die europäische Dialogkultur ins Gespräch.
Für die Studierenden der Europäischen Studien ist es ein altbekanntes Thema: Das Grenzgänger*innen-Dasein. Während ihres Studiums verbringen sie ein Jahr in Frankreich, ziehen regelmäßig um und müssen sich immer wieder an neue Umfelder anpassen.
Was aus solchen Grenzüberschreitungen jedoch auch entstehen kann, das stellten am Mittwoch Jessy James La Fleur und Felix Görmann unter Beweis.
Görmann, der unter dem Künstler-Pseudonym Flix bekannt ist, gehört zu den wenigen deutschen Künstlern mit der “Lizenz zum Zeichnen” franko-belgischer Comics. So erweckt Flix beispielsweise die Figuren des großen Belgiers Franquin erneut zum Leben und erzählt mit Stift und Papier die Geschichten von Spirou und dem Marsupilami weiter.
Der Weg dorthin ist aber auf keinen Fall einfach, was sich an den zwei verschiedenen Welten zeigt, zwischen denen Flix immer wieder hin und her springt. Eine franko-belgische Figur in einem deutschen Umfeld zu zeichnen und einem vielschichtigen Publikum zugänglich zu machen, erfordere nämlich viel Feingefühl. Es sei so beispielsweise wichtig, erstmal zu verstehen, welche kulturelle Relevanz eine kleine Comic-Figur im anderen Land habe. “In Belgien wird über Neuigkeiten in der Comic-Welt auch mal in den Nachrichten erzählt”, bekräftigt er. “Da muss schon alles stimmig sein.” Mit Verlagen und eingesessenen Fans aus Frankreich und Belgien zu kommunizieren und trotzdem der eigenen Feder freien Lauf zu lassen, ist ein Grenzgang der Extraklasse und zieht Kreise bis in sein persönliches Leben.
So schlägt die Wertschätzung seiner Kunst in zwei Extreme aus. “In Deutschland bin ich halt der Bildchenzeichner, der nachmittags Zeit hat, die Pakete der Nachbarn anzunehmen”, schmunzelt er. In Frankreich und Belgien stünden jedoch Fans teilweise stundenlang Schlange, um ein Autogramm des Zeichners zu ergattern. Trotzdem sei es bereichernd, beide Welten zu kennen.
Grenzen zu überschreiten ist jedoch bei Weitem nicht nur romantisch, so Jessy James LaFleur. Die Poetin aus Ostbelgien wächst dreisprachig auf, spricht allerdings heute fast sieben Sprachen. Ihre Wahlheimat findet sie heute in Görlitz, der östlichsten Stadt Deutschlands. Auf ihrem Weg dorthin muss sie selbst aber immer wieder Grenzen überschreiten, bricht mit 14 die Schule ab und lebt in über 30 verschiedenen Ländern. Das stetige Verschieben von Grenzen und Einlassen auf neue Dialoge ist Kernthema ihrer Kunst, die sie am Abend der Europavorlesung präsentiert.
Sie sei Nomadin, Migrantin, Reisende; Verloren im Nirgendwo; Habe nur eine Mutter, aber zwei Muttersprachen. Als Ostbelgierin kennt sie das Gefühl von “Fremdheit im eigenen Land”. “Grenzgänger verstehen, dass man umgehend Fremder ist, sobald der erste Schritt die eigene Türschwelle verlässt”, meint sie beim Vortragen ihres Textes “Grenzgängerin”. Gerade deshalb sei es ihr jedoch ein Anliegen, Verbindungen zwischen Menschen zu schaffen und sie dazu zu befähigen, die wertvollste Waffe zu benutzen, die sie besitzen: Ihre Stimme.
Jessy James LaFleur arbeitet deshalb an den unterschiedlichsten Orten, überquert regelmäßig scheinbar festgelegte kulturelle Grenzen und richtet ihre Aufmerksamkeit auf Regionen, die sonst eher wenig Beachtung im kulturellen Diskurs finden. So arbeitet sie mit Jugendlichen in der JVA in Schreibworkshops zusammen, organisiert Poesie-Touren in der Lausitz und baut im Moment eine Spoken-Word-Akademie in Sachsen auf. Sie fordert ein Abwenden von der akademischen Sprache, die für sie immer wieder zu Ausgrenzung führt und prangert dabei regelmäßig die europäische Literaturszene an.
Ihr Ziel sei es, ein Programm zu schaffen, das Menschen unabhängig von ihrer (sozialen) Herkunft und ihres Bildungsniveaus verstehen könnten. Wie das gelingen kann, stellt sie an jenem Abend unter Beweis, als sie eine Liebeserklärung an ihre Heimat Ostbelgien vorträgt. Der Text ist voller lokaler Referenzen, die sich vor allem an ein (ost-)belgisches Publikum wenden, aber die entscheidenden Pointen bringen auch das überwiegend deutsche Publikum zum lachen.
Das sei das Ergebnis, dass Jessy James LaFleur und Flix mit ihrer jeweiligen Kunst erreichen wollen würden. Grenzen zwischen Menschen sprengen und Dialogkulturen etablieren.
Während Spirou in Flix Geschichte “Spirou in Berlin” noch das geteilte Berlin kennenlernt, in der Grenzposten allgegenwärtig sind, bekräftigt Jessy James, dass sie Grenzposten nur noch als “Mahnmal” kenne. “Gerade deshalb bin ich so glücklich, mich auch Europäerin nennen zu dürfen”, sagt sie. Das Grenzgänger*in-Sein ist in dieser Identität direkt berücksichtigt. Es entstehe allerdings auch eine Verantwortung aus einer solchen Selbstbezeichnung, mahnt Jessy James LaFleur nochmal zum Schluss. Eine Verantwortung, sich dem historischen Erbe des Kontinents bewusst zu sein und deshalb stets den Dialog zu suchen.